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 Autor Thema: Paradies der Agrarmultis
Richard Leopold Tomasch
Datum: 08.10.2007 21:10 Antworten Als Email verschicken Kontakt: rileto@proleben.at

Betreff: Paradies der Agrarmultis
 

04.10.2007 / Wissenschaft & Umwelt / Seite 15
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Paradies der Agrarmultis
Passendes Klima, Rechtsfreiheit, Hungerlöhne – das sind die Standortvorteile Costa Ricas. Ein Bericht aus dem Hinterland der Gentechnik-Konzerne
Von Udo Hörster
»In ein riesiges Feld für einen unkontrollierten Freilandversuch
»In ein riesiges Feld für einen unkontrollierten Freilandversuch verwandelt« – die Region Guanacaste
Foto: AP
Am Rand eines im costaricanischen Kanton Cañas gelegenen Feldes türmen sich Berge gentechnisch manipulierter Baumwolle. Landarbeiter des Agro-Unternehmens Semillas del Trópico haben die gegen das Herbizid »Liberty Link« des Bayer-Konzerns immunen Ackerfrüchte aus dem Boden gerissen, um Platz für Erdnuß-Kulturen zu schaffen. Mit einer Extradosis Pestizide wollen sie verhindern, daß die Nüsse einen baumwollenen Beigeschmack erhalten, aber zum ungewollten Erbgut-Joint-venture wird es wohl trotzdem kommen. Vom Winde verweht, dürfte die Baumwollsaat bald auch noch ganz woanders aufgehen: Überall im Land – am Straßenrand, auf Wiesen und in Vorgärten – finden sich ausgewilderte Gentech-Pflanzen. »Für diese Saaten, die in den USA und in Europa verkauft werden, zahlen wir in den Erzeugerländern einen hohen Preis«, sagt die Gentechnik-Kritikerin María Isabel Manzur. »Sie sind hier ein Risiko für die Biovielfalt und die menschliche Gesundheit.«

Die meisten Costaricaner wissen gar nicht, was ihnen da blüht. Die Landwirte, von denen die Agro-Multis das Land zum Spottpreis von zirka 200 Euro pro Hektar für ihre Pflanzungen pachten, wenn sie nicht auf die Dienste von Kontraktpartnern wie Semillas del Trópico zurückgreifen, geben auf Nachfrage nur die Losungen aus den Werbebroschüren der Gen-Giganten wieder. Auf seinem Land fänden Experimente statt, mit deren Hilfe der Hunger in der Welt bekämpft werden soll, erzählte ein Farmer der Journalistin Ute Sprenger. Andere bereiten sich aus den Baumwollblättern Tee oder halten sich das Malvengewächs als Zierpflanze im Garten. Der Staat verhält sich ähnlich sorglos. Besondere Bestimmungen zum Anbau gentechnisch veränderter Kulturen wie etwa Zulassungsverfahren oder regelmäßige Feldkontrollen gibt es nicht.

Bayer, Monsanto & Co. verbuchen dies als »Standortvorteil«. Und es ist beileibe nicht der einzige, den Costa Rica bietet: Seit 1982 richtet sich das Land unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds verstärkt nach den Bedürfnissen des Weltmarktes aus. Die Agenturen des Kapitals zwangen der »Reichen Küste«, wie die wörtliche Übersetzung von »Costa Rica« lautet, einen rigiden Sparkurs auf. Die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Soziales sanken, die Arbeitslosigkeit stieg. Zu Beginn der 90er Jahre mußte der Staat weitere »Strukturanpassungen« vornehmen. So auf Kurs gebracht, produzieren Industrie und Landwirtschaft hauptsächlich für den Export.

1991 öffnete sich Costa Rica den Gen-Giganten. Neben dem »unbürokratischen« Umgang der Behörden mit den Laborfrüchten lockte die Agro-Multis vor allem das günstige Klima, das mehrere Ernten pro Jahr zuläßt. Damit bot das Land die idealen Voraussetzungen für den Grundstoff der Gentechnik-Industrie: das Saatgut. Vermehrungsbetriebe, die Saaten für den Weltmarkt herstellen, nahmen bald immer mehr Ackerfläche ein. 1997 stieg der jetzt zu Bayer gehörende Aventis-Konzern in großem Stil mit Soja-Saatgut ein, später kam Baumwolle dazu. Mittlerweile erstrecken sich die Pflanzungen der Multis auf zirka 1400 Hektar – und das bei einem Land von der Größe Niedersachsens! »Die multinationalen Unternehmen und das Landwirtschaftsministerium haben die Region Guanacaste in ein riesiges Feld für einen unkontrollierten Freilandversuch verwandelt«, sagt die Bürgerrechtlerin Ana Julia Arana.

Mit der Vermehrung von Soja- und Baumwollsaatgut hat Bayer hauptsächlich das Unternehmen Semillas Olson betraut. Die gegen das Bayer-Pestizid Liberty Link resistenten Sorten sind zwar in Costa Rica gar nicht zugelassen, aber größere Probleme bereitet das nicht. Semillas Olson stellt für den – zumindest auf dem Papier bestehenden – zusätzlichen staatlichen Kontrollaufwand einfach nur 50 Dollar pro Morgen zusätzlich in Rechnung.

Um eine dem neuesten technischen Stand entsprechende Produktion der Liberty-Link-Saaten zu gewährleisten, hat Bayer den Maschinenpark von Semillas Olson aufgestockt und eine Entkörnungsanlage zur Trennung der Baumwollsaatkörner von der Faser beschafft. Keinen Modernisierungsbedarf sieht der Konzern bei den Arbeitsbedingungen. Schuften auf den Saatgutfeldern seiner indischen Zulieferer zahlreiche Kinder, so leisten in Costa Rica vornehmlich Frauen Frondienste. Sie verdingen sich als Tagelöhnerinnen auf den Feldern, suchen die passenden Pflanzen aus, verschließen nach der Befruchtung die Blüten, dabei immer den Agrochemikalien ausgesetzt. Viele von ihnen leiden an Schwächeanfällen, Übelkeit und Kopfschmerz.

Im Jahr 2003 sollte alles noch schlimmer kommen. Das Freihandelsabkommen zentralamerikanischer Staaten mit den USA sollte den multinationalen Konzernen noch mehr Sonderrechte einräumen, ihnen den Zugriff auf den öffentlichen Sektor und den Artenreichtum sichern, die ohnehin um ihre Existenz kämpfenden Landwirte durch die Erleichterung von Agrarimporten weiter unter Druck setzen. Aber ein breites Bündnis aus Gewerkschaftern, Landwirten, Umweltschützern, Schülern und Studenten lief Sturm gegen die Pläne. Im Februar demonstrierten in der Hauptstadt San José 100000 Menschen gegen die CAFTA-Verträge. Die Organisatoren sprachen vom »Beginn einer langen, intensiven Mobilisierung gegen den Ausverkauf Costa Ricas«.

Im Zuge dieser Gegenbewegung bildeten sich auch regelrechte »Bio-Bürgerwehren« gegen Bayer & Co. Gruppen wie das Red de Coordinación de Biodiversidad und das Comité Cívico de Canas (CCdC) befaßten sich mit den Risiken und Nebenwirkungen der Saatgut-Vermehrung für die konventionelle Landwirtschaft, machten sich auf die Suche nach gentechnischem Wildwuchs – und mußten dank der völlig überforderterten staatlichen Aufsichtsbehörde nicht lange suchen. Das CCdC mahnte »einen tiefgreifenden Richtungswechsel in der Landwirtschaft« an, »einen gesünderen Ansatz in der Agrarproduktion«, da der praktizierte »nur einigen wenigen Unternehmen dient, gleichzeitig aber dem Land enorme Kosten verursacht«.

In das vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) im Zuge des Cartagena-Protokolls über biologische Sicherheit für Costa Rica vorbereitete Gentechnik-Gesetz fanden solche Vorschläge keinen Eingang. Obwohl das Abkommen eine Bürgerbeteiligung ausdrücklich vorsieht, blieben die Initiativen außen vor. Nicht umsonst sponsert Bayer seit Jahren Jugendprogramme der UNEP. Neben Bayer bastelten Semillas del Trópico, Nestlé und der größte Saatgutvermehrer Delta&Pine mit an diesem Paragraphenwerk. Und so sieht es auch aus. Nicht den leisesten Zweifel hegt der Entwurf am Segen der Gentechnik, Skeptiker sollen durch Vorsorge-Prinzip und Inspektionen beruhigt werden. Aber ja nicht zuviel! Die Feldstudien sind nämlich Privatsache: Nach dem Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle können die Unternehmen sogenannte Auditoren selbst verpflichten. Als solle der Wolf die Schafe hüten, erklärt Fabían Pancheco vom Koordinationskreis Biodiversität. Und das Bild stimmt.

Dieser Artikel basiert auf Recherchen der Journalistin Ute Sprenger (Gen-Ethisches Netzwerk, GeN); das GeN hat zum Thema eine 38seitige Broschüre veröffentlicht: "Heimliche Kontamination - Transgenes Saatgut, Biosicherheit und zivilgesellschaftliche Intervention in Costa Rica", zu bestellen über GeN, Brunnenstraße 4, 10119 Berlin, Versandkosten in Briefmarken beilegen
 
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